WIENS ERSTE MODERNE

Visuelle Konstruktion von Identität im 15. Jahrhundert

Internationale Tagung zu den Bildkünsten in Wien zwischen dem Meister von Heiligenkreuz und Lucas Cranach

In Kooperation mit dem Belvedere und dem Kunsthistorischen Museum veranstaltet das Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien eine internationale Tagung zum Wiener Bild des 15. Jahrhunderts. Die Tagung „WIENS ERSTE MODERNE“ findet vom 11. bis 14. April 2019 parallel zu einer Ausstellung des KHM zum „Meister von Heiligenkreuz“ (26. März – 23. Juni 2019) statt. Begleitend zu den Referaten am Institut für Kunstgeschichte sind neben einem Festvortrag im KHM Diskussionen vor Originalen im KHM, Belvedere, Schottenstift und Dominikanerkonvent vorgesehen.

Der Fokus richtet sich konkret auf die Stadt Wien im 15. Jahrhundert und auf die Medien ihrer Bildproduktion: im öffentlichen, privaten und sakralen Raum, auf der Wand, Tafel oder in Glas, Büchern, Zeichnungen, Drucken oder Skulpturen. Keywords: Migration von Künstlern und Auftraggebern, Import/Export, Ideentransfer, Medialität, Funktion, soziale Aspekte, Wien als Drehscheibe in der Mitte Europas: zwischen Italien, Frankreich, Niederlande, Oberrhein, Böhmen, Süddeutschland, Ungarn, Siebenbürgen etc.

Trotz wechselnder Machtverhältnisse baute Wien im 15. Jahrhundert seine Position als geistiges, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Habsburgerreiches aus. Als Kultur- und Innovationsträger wirkten dabei vielfach weniger die Landesherren als vielmehr wohlhabende Wiener Bürger und Gelehrte, die sich beispielsweise über kostbar ausgemalte Buchgeschenke dem Langzeitkaiser Friedrich III., seiner Gemahlin Eleonore von Portugal und dem Thronfolger Maximilian empfahlen (Stephan Heuner, Johannes Hinderbach). Zugleich entwickelte sich Wien zum Anziehungspunkt für Diplomaten, Intellektuelle, Künstler und Handwerker aus unterschiedlichen Regionen Europas.

Die geographische Lage an der Donau und am Kreuzungspunkt wichtiger Handelswege sowie die Sonderrolle als Universitätsort begünstigen die dynamischen Entwicklungen eines Soziallebens, welches das Profil einer kulturell heterogenen Stadtidentität präsentiert; eine Stadtidentität, die ihrerseits überregional ausstrahlt. Mit der im Wiener Exil lebenden Veroneser Familie della Scala, dem Universitätsgelehrten Galeazzo di Santa Sofia oder dem Sekretär des Fürstbischofs von Freising Nikodemus della Scala und späteren kaiserlichen Sekretär Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II.) ist beispielweise eine Community von Italienern in einflussreichen Positionen belegt. Dieses Netzwerk zeichnete einerseits für den Zuzug oberitalienischer Maler nach Wien (Fresko vom Singertor des Stephansdoms) verantwortlich, andererseits für die Beauftragung von Werken für auswärtige Bestimmungsorte bei Künstlern, die in Wien tätig waren, wie z. B. Jakob Kaschauer für den Hochaltar des Freisinger Doms. Politische Unruhen und Kriege (z. B. gegen die Hussiten in Böhmen) führten zu Migrations- und Abwanderungswellen, die Künstler auch nach Wien führten. So sind die böhmischen Buchmaler Nikolaus, Michael und Veit in der ersten Jahrhunderthälfte hier fassbar. Martinus opifex sowie der anonyme Meister des Schottenaltars und Lucas Cranach bezeugen wiederum eine kontinuierliche Verbindung zwischen Bayern bzw. Franken und Wien. Aus Frankreich und über den Oberrhein aus den Niederlanden vollzog sich der Transfer westeuropäischer Ästhetik. Der Meister von Heiligenkreuz und Niclas Gerhaert van Leyden fungierten als die prominentesten Direktvermittler; weitere Bezugnahmen ergaben sich durch die häufige und frühe Verwendung druckgraphischer Vorlagen des Meisters der Spielkarten und des Meisters E. S. in der Donaumetropole. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Was ist „Wiener“ Bildkunst im 15. Jahrhundert? Und wie ist eine Lokalproduktion unter diesen besonderen Rahmenbedingungen zu definieren?

Die ab den 1430er Jahren in Wien zur Anwendung gebrachten visuellen Medien belegen eine neue Wahrnehmung der Welt der sichtbaren Dinge. So führt uns der anonyme Meister des Albrechtsaltares (um 1437/39 ursprünglich für die Kirche Am Hof, heute: Klosterneuburg, Sebastianskapelle) nicht nur das Material von Hausrat (Spanschachteln, Messingleuchtern etc.) vor Augen, sondern die markante Skyline des damaligen Wien und darüber hinaus – auf der Werktagsseite des Flügelaltars – Landschaften unter einem Himmel in je spezifischer Lichtstimmung. Der dort wahrnehmbare Hunger auf die Welt und damit das Interesse für das eigene Ambiente nahmen in den folgenden Jahrzehnten rapide zu. Immer tiefer wurden die heilsgeschichtlichen Ereignisse in den lokalen und zeitgenössischen Kontext eingeschrieben. Das belegt beispielhaft die „Heimsuchung“ auf dem Schottenaltar (1469: Wien, Schottenkloster): Maria und Elisabeth begegnen einander hier in der Kärntnerstraße mit Blick auf den Stephansdom.

Wächst in der Tafelmalerei – mit der zunehmenden Mimesis – der Bildtiefenraum und damit die Distanz zwischen Betrachter/-in und Betrachtetem, tritt in der Buchmalerei ab 1446 (Handregistratur König Friedrichs IV.: Österreichisches Haus-, Hof- und Staatsarchiv) das Wiedergegebene vor den Pergamentgrund in den Raum der Betrachtenden ein; der Trompe-l‘œil schafft hier ein neues Naheverhältnis von Rezipient/-in und Repräsentiertem. Aus kunsthistorischer Perspektive sind die Vorbildwirkung der niederländischen Malerei sowie der Vermittlungsweg zwischen den Niederlanden und Wien interessant (s.o.).

Vor einem kulturhistorischen Horizont stellen sich andere Fragen: etwa, ob und wie das in den visuellen Medien fassbare Interesse an der Welt der sichtbaren Dinge mit der Entwicklung der (Natur-)Wissenschaften und deren Vermittlung im Raum Wien Hand in Hand ging (Collegium Ducale/Universität Wien, Wiener mathematisch-astronomische Schule, Johannes von Gmunden, Georg von Peuerbach, Johannes Regiomontanus, Entwicklung der Optik, Wissenstransfer zwischen Christen- und Judentum bzw. Islam etc.).